29 November 2009

Matthias Matussek: "Wir Deutschen"




Wir Deutschen: Warum die anderen uns gern haben können


Zunächst einmal war ich doch etwas skeptisch bei diesem Buch. Warum sollte ich es überhaupt lesen? Ich mag Patriotismen nicht und verachte Menschen, welche es nötig haben „ihr Land zu lieben“, um dadurch irgendwelche psychischen Mankos auszugleichen oder sich wichtig zu fühlen. „Vaterlandsliebe“ war für mich immer Zeichen eines tief sitzenden Minderwertigkeitsgefühl – schon mit 14 Jahren zitierte ich hier gerne altklug Schopenhauer, der „Nationalstolz als einen Ersatzstolz für den persönlichen Stolz eines Menschen“ bezeichnete.


Warum sollte ich dieses Buch also lesen? Nun, zunächst einmal weil es mir von einem guten Freund zu Weihnachten geschenkt worden war, noch dazu einem Freund, dessen literarisches Urteil ich zumeist teile und dessen Urteilen ich oft blind vertrauen konnte. Hatte er es mir mit einem Augenzwinkern geschenkt, oder hatte
er sich seit der Fussball-WM nun auch zu einem Patrioten gewandetl?


Wie dem auch sei, da lag dieses Buch und so beschloss ich, es zwischen „Elric“ und „Ulysses“ quasi als „leichte Lektüre“ einzuschieben.


Um was geht es nun in diesem Buch?


Matussek hat das Buch für die WM 2006 geschrieben – nun, nicht FÜR die WM, aber wohl doch auch anlässlich dieses Events. „Patriotismus“ war und ist für Deutsche ein schwieriges Thema. Während sich die uns umzingelnden Freunde teilweise doch sehr in ihrem Patriotismus baden, oft gar in blankem Nationalismus, werden auch heute noch Leute, die sich in Deutschland offen als „Patrioten“ bezeichnen, als alt- oder neu-Nazis gehandelt, oder es sind einfach verwirrte und historisch „dumme“ Gestalten.


In diesem Buch nun versucht Matussek, den Blick auf die deutsche Geschichte zu erweitern, und er arbeitet klar gegen die Auffassung, Deutschland als junge Nation zu verstehen, welche aus dem grössten Verbrechen der Menscheitsgeschichte entstanden ist. Vielmehr ist es Matussek an der deutschen Kulturnation gelegen, welche ja
bereits lange vor der nationalen Einigung Bestand hatte.


Während die Briten ganz klar unter einer psychotischen Besessenheit mit einem fiesen „Nazi-Fetischismus-Virus“ leiden (und selbst sehr starke Patrioten sind, die sich zwar gerne an die Arthus-Legende erinnern aber über die britischen Blutbäder der Geschichte gerne auch mal hinwegsehen), fällt es den Deutschen nach wie vor
schwer, über jene dunklen Zeiten zwischen 1932 und 1945 hinaus zu sehen.
Wir werden nicht nur von Aussen mit Hitler und seiner „Familie“ an blutrünstigen Generälen assoziiert, wir assoziieren uns auch selbst noch viel zu oft mit dem Diktatoren-Gesindel und den irren Massen, welche ihnen folgten.


Matussek will diesen Teil der Geschichte nicht leugnen oder auslöschen, aber den Blick seiner Leserschaft einmal auf andere -ältere- Teile der deutschen Geschichte lenken. Und er wehrt sich vehement und glaubhaft gegen das unter vielen Historikern nach wie vor verbreitete Urteil über „die Deutschen“, dass die deutsche Geschichte zwangsläufig auf Hitler und den Holocaust hinlaufen musste (am Besten schon seit Luther!).


Statt dessen spricht Matussek lieber über Heinrich Heine, und ich muss gestehen, sein Heine-Essay gehört zur leidenschaftlichsten und schönsten Liebeserklärung an den jüdisch-deutschen oder deutsch-jüdischen, Deutschen jüdischen Glaubens oder wie auch immer, die ich je lesen durfte. Wie sehr konnte ich mich mit Heine hier identifizieren: der nachts wehmütig in seinem Pariser Exil an Deutschland denkt, der (sprachlich eh!) ganz Deutschland im Herzen trägt und daran leidet, dann aber bei einer Reise durch die deutschen Lande auch bitter über den „deutschen Michel“ schimpft. Genau so ergeht es mir ja auch bei jedem meiner Heimatbesuche! Die aus der Ferne als „gelobtes Land“ vermisste Heimat wird bei Nähe betrachtet auch zu einem Tal der
Mißstände, und die Currywurst schmeckt auch nur in der Erinnerung so lecker…


Was das Buch für mich ausserdem zu einer vergnüglichen Lektüre machte, sind die in regelmässigen Abständen erfolgenden Attacken gegen die Engländer. Genußvoll wird dieses arrogante Volk vorgeführt, nicht ohne Schalk im Nacken natürlich! Schön, dass der Autor hier aus eigener Erfahrung spricht anstatt mit Klischees und Vorurteilen zu kommen.


Das das Buch ausserdem voller Interviews mit hochinteressanten Zeitgenossen (Harald Schmidt) und Zeitzeugen&Machern (Klaus von Dohnanyi) sowie deutschen „Klischee“-Promis (Heidi Klum) ist, macht es nur noch reizvoller.


Die an alle gestellten Fragen „Sagen Sie mal einen unverkrampften Satz über Deutschland!“, die heitere Art des Autors und sein hervorragender Schreibstil führen dazu, dass ich das Buch allen ans Herz legen möchte. Man findet hier ein schönes Bild, Momentaufnahmen und Reiseberichte aus einer ehemals gespaltenen Nation, 15 Jahre nach der Wiedervereinigung.


Auch wenn meine Lebensphilosophie sich stark an Jiddu Krishnamurti orientiert und ich daher strikt gegen eine Identifikation mit „Nation“, „Religion“ etc… bin, (und hierin auch nicht mit dem Autor übereinstimme), so muss ich doch zugeben, dass mir das Buch grosses Vergnügen bereitet hat, und das liegt v.a. daran:
bei allem Spott über die Engländer, bei allem Zynismus, ist Matussek vor allem eins: ein Humanist. Ihm liegt stets der Mensch am Herzen, und diese Menschlichkeit durchzieht wie ein feiner Geruch das gesamte Buch. Beim Lesen des Buches denke ich über seinen Autor: das ist ein Mensch, den ich gerne einmal kennen lernen würde – was kann einem ein Buch denn schon besseres bieten?



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen